Die Angst vor Parametrik: Warum sie als Last und nicht als Lösung angesehen wird?

Oft hört man, dass früher alles besser war. Die Welt der Konstrukteure war einfacher, dank der Direktmodellierung. Warum glauben manche das? Dabei ist heutzutage die Parametrik in jeder CAD-Software. Die Technologie hat sich durchgesetzt, da die Konstruktion ohne Parametrik wesentlich aufwendiger und unkomfortabler ist. Einige Hersteller von CAD-Software bedienen die Angst vor der Parametrik und behaupten, mit ihrer Software könne man wie früher “direkt” modellieren. Wir wollen mit dieser Angstmacherei und Augenwischerei ein für alle Mal aufräumen!

 

Was ist überhaupt Parametrik?

Parametrisch assoziative CAD-Modelle speichern die Entstehungshistorie der Konstruktion und machen es für neue Projekte wieder verwendbar. Diese Historie ermöglicht es dem Konstrukteur, einfach und schnell Änderungen in der Konstruktion umzusetzen, so zum Beispiel die Auswerferposition in einem Spritzgusswerkzeug zu versetzen. Man verschiebt einfach die Auswerfer an die gewünschte Stelle und die anderen Bestandteile der Gesamtkonstruktion passen sich nahtlos an die Verschiebung an. Früher, ohne das “Entstehungswissen” innerhalb der Konstruktionszeichnung, hätte diese Änderung vieler zeitaufwendiger Zwischenschritte bedurft. 

 

Ist die “synchrone” Technologie eine Lösung?

Einige Anbieter preisen den Ansatz der sogenannten „synchrone Technologie“ als neue Errungenschaft. Synchrone Technologien sollen die besten parametrischen und direkten Modellierungsfeatures in einer einzigen Umgebung vereinen. Dabei ist das nichts besonderes, sondern Standard in jeder CAD-Software. Jedes System muss im Umgang mit Fremddaten direkt modellieren, denn importierte Fremddaten aus einem anderen System können nicht parametrisch sein. Sprich: man erhält nur die Maße des Bauteils ohne Entstehungsgeschichte. Möchte man nun Änderungen vornehmen, zum Beispiel eine Krümmung verlängern, so muss man die Krümmung neu modellieren (Direktmodellieren) und kann diese nicht einfach, wie bei parametrisierten Bauteilen üblich, durch Eingabe eines anderen Maßes in die Länge ziehen. Dieses Problem haben alle CAD-Systeme beim Import von Dateien aus anderen CAD-Systemen. Daher ist es empfehlenswert, innerhalb einer Organisation oder der Entstehungskette eines Produktes die gleiche Software zu verwenden (vgl. Beitrag zu Schnittstellen). Natürlich gibt es Schnittstellen zu anderen Systemen, doch selbst bei Direktschnittstellen geht die Entstehungshistorie bei der Übertragung verloren. Die komplette Historie zu nutzen geht nur innerhalb von direkt verwandten Systemen aus dem gleichen Softwarehaus. Daher ist ein integriertes CAD/CAM auch so wichtig, denn nur dort können Änderungen in der Konstruktion schnell und einfach durch die gesamte Prozesskette fließen.

 

Worin liegen die Vorteile der Direktmodellierung?

Es gibt leider keine. Anbieter, die dies behaupten wollen von der Angst der Kunden vor Neuem profitieren. Dabei sind Parametrik und Direktmodellierung keine Gegensätze. Früher wie heute ist man bei dem Import fremder Daten gezwungen ohne das Entstehungswissen Änderungen an Konstruktionen direkt zu modellieren. Zwar hat man versucht den Verlust zu kompensieren, indem man dem Konstruktionsdesign vor dem Export noch Zusatzwissen, sogenannte PMI (Product Manufacturing Information), hinzufügt. PMI können von jedem anderen System eingelesen werden und sorgen damit für eine bessere Erkennung des Konstruktionsdesigns in der neuen CAD-Umgebung. Doch kann dies noch lange nicht das Wissen um den Entstehungsprozess ersetzen.

 

Woher kommt die Angst vor der Parametrik?

Bei komplexen Konstruktionen war es früher in einigen CAD-Programmen schwierig, die richtige Stelle im “History Tree” zu finden, um etwas verändern zu können. So konnte die Suche nach der Änderungsstelle aufwendiger sein, als wenn man direkt gerade “mal eben” etwas verändert hätte. Heutzutage existiert dieser Nachteil nicht mehr, da bei allen Systemen die Suche nach der Veränderungsstelle durch Anklicken der Stelle in der Zeichnung automatisch vom CAD-System angezeigt wird. Eine weitere als Schwäche wahrgenommene Eigenschaft der parametrischen Modellierung ist die Berechnungszeit der Veränderung. Mit zunehmender Anzahl der Zeichnungsbestandteile und Ausprägungen kann das für die Aktualisierung des Modells erforderliche Berechnungsvolumen zunehmen. Doch auch dieser Nachteil wiegt leicht im Gegensatz zu dem was man durch die Parametrik an enormen Vorteilen hinzugewinnt, wie der automatischen Veränderung aller Folgeschritte, der direkten Fehlererkennung und Dokumentation des Konstruktionsaufbaus. Standardmäßig schult man Konstrukteure darauf für komplexe Bauteile einen angepassten Bearbeitungsprozess anzuwenden. Man schaltet die automatische Anpassung während der Veränderung aus und lässt das System während einer kleinen Kaffeepause die jeweilige Konstruktion neu berechnen. So existieren keine Nachteile mehr im Vergleich zur Direktmodellierung.

 

Warum werben trotzdem CAD-Anbieter mit der Direktmodellierung?

Es ist das Spiel mit der Angst. Leider haben viele Anwender Angst vor dem Fortschritt. Dabei setzt sich generell nur jene Technologie durch, die auch Vorteile mit sich bringt. Eine Verweigerung des Fortschritts ist komplett unbegründet und hat mit der Angst vor Veränderung zu tun. Doch eine Weiterentwicklung lässt sich nicht vermeiden. Um Schritt zu halten mit der Fortentwicklung der Software kommt man um regelmäßige Schulungen nicht herum. So bringt ein integriertes PDM (Produktdatenmanagement), welches TopSolid mit der Version 7 in 2009 eingeführt hat, eine andere Arbeitsweise mit sich, die erst einmal erlernt sein will. Aus diesem Grund bieten wir eine spezielle TopSolid Wechsel-Schulung von V6 auf V7 an. Parametrisch war die Software auch schon in Version 6, doch nun kam mit V7 das PDM gratis dazu. Es bringt Ordnung in die Dokumentenstruktur und ermöglicht das kollaborative Arbeiten an einer Baugruppe. Ein Bauteil, welches man in eine Baugruppe integriert, kann zugleich auch in anderen Baugruppen verwendet werden. Möchte man nun aber das Bauteil verändern, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf die anderen Baugruppen mit diesem Bauteil. Möchte man dagegen, dass nur in einer Baugruppe das Bauteil verändert wird, kopiert man dieses und schafft ein neues Bauteil. Kein Hexenwerk, doch diese Struktur muss verstanden werden, um Ängste im Umgang mit der Software abzubauen. Darum lassen Sie sich nicht Abschrecken von Neuerungen Ihrer CAD/CAM Software, nehmen Sie das Schulungsangebot Ihres Softwareanbieters bzw. Vertriebspartners wahr. Und lassen Sie sich keine Angst einjagen, denn selten hat ein als Fortschritt verkaufter technischer Rückschritt einen schneller ans Ziel gebracht.

 

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